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Die Gletschertöpfe
von
Alfred Hofer *)
Vor etwa 100.000 JahrenNebeldüstere Tage und gewaltige Stürme waren die Vorboten des gigantischen Eisriesen. Immer näher erklang dumpf und drohend ein Knirschen und Krachen, ein Bersten und Brechen. Langsam — von einer ungeheuren Kraft getrieben — schob sich der gewaltige Eisriese immer weiter nach dem Süden. Alles Leben begrub und erstickte er unter sich. Entsetzt und voller Grauen flohen Menschen und Tiere südwärts. Am Nordrand des Harzes kam die mächtige Eismasse endlich zum Stehen. Es war das vorletzte Mal, daß der nördliche Teil unseres deutschen Vaterlandes von der Vereisung heimgesucht wurde. Viele, viele hundert Jahre vergingen. Die eisigen Stürme verloren an Kraft; die Sonnenstrahlen vertrieben die nebeldüsteren Tage. Es wurde wärmer; die Eismassen begannen zu schmelzen. Auf der Höhe des Huy (Hardelsberg) floß ständig Schmelzwasser auf und unter dem Eise. In die beim Überschreiten des Huykammes entstandenen Eisspalten stürzten die oberen Schmelzwasser auf den felsigen Untergrund (Kalkfelsen), dabei die aus dem Gletscher befreiten Gesteine mit sich reißend. Die großen und die kleinen Geröllstücke wurden in dem ewig wirbelnden Strudel zum Schleifmaterial und bohrten so nicht nur eine große Mulde, sondern auch zwei runde Kessel (Töpfe) in den felsigen Untergrund. Sie selbst wurden zu runden Formen abgeschliffen. (In dem großen Kessel, dessen vordere Hälfte beim Sprengen leider zertrümmert wurde, ist die linskläuftge Strudelbewegung an den Auswaschungen noch heute deutlich zu erkennen.) Weitere Jahrtausende vergingen. Die Eismassen, die auch das Gebiet unserer engeren Heimat lange, lange Jahre bedeckt hatten, waren nach Norden zurückgewichen. Schleifsteine und Geröllmassen des unter dem Eise strömenden Gletscherflusses, darunter viele Kalkgerölle des Huykammes, hatten Kessel (Töpfe) und Mulde am Hardelsberg ausgefüllt. Die später abgelagerte Lößschicht hielt sie dem menschlichen Auge nahezu 100.000 Jahre verborgen. Etwa 100.000 Jahre später Schon im Mittelalter begannen unsere Vorfahren, die festen Bänke des Unteren und Oberen Muschelkalks im Huy abzubauen. Die Kalksteine ergaben ein festes Baumaterial für Gebäude und Grenzmauern. So wurde auch am Hardelsberg im Huy (in der Nähe des Dorfes Huy-Neinstedt) gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein Kalksteinbruch erschlossen. Anfang Oktober 1910. — Durch den taufrischen Herbstmorgen wandern vier Männer (Andreas Karste, seine Söhne Emil und Otto und Wilhelm Klaus) auf dem Wege von Badersleben in Richtung Huy-Neinstedt. Ein schweres Tagewerk liegt vor ihnen. Noch ahnen sie nicht, daß sie heute zum letzten Male ihrer gewohnten Arbeit im Kalksteinbruch am Hardelsberg nachgehen werden. Hinter ihnen verlieren sich die Geräusche des erwachenden Dorfes. Unmutsfalten liegen auf der Stirn von Andreas Karste. Seine Gedanken eilen voraus — sind schon bei der Arbeit. Selten hart ist der Kalkstein an der Wand, die sie seit Tagen angehen. Nur die Hälfte der gewohnten Tagesleistung wird geschafft. Verdammt schwer ist die Arbeit — der Verdienst gering. — Hinter ihm wandern seine Söhne Emil und Otto mit Wilhelm Klaus. Hin und wieder klingt jetzt fröhliches Gelächter auf. Ja — die Jugend nimmt das alles nicht so tragisch. Bald tauchen die ersten Häuser von Huy-Neinstedt vor ihnen auf. Sie finden die Bewohner des Dorfes bei emsiger Arbeit. Aus vielen Hoftoren schallt ihnen ein froher Morgengruß entgegen. Scherzworte fliegen hinüber und herüber. Weiter geht's dem steilen Hang hinauf. Bald sind die vier Männer in dem sich verfärbenden Laubwald untergetaucht. Aufatmend wischen sich Emil Karste und Wilhelm Klaus die schweißnasse Stirn. Endlich sind die Bohrlöcher tief genug. Vater Karste und sein Sohn Otto fügen die Sprengpatronen ein und verstopfen anschließend die Hohlräume. Die mit Petroleum getränkten Enden der Zündschnüre werden schnell hintereinander angezündet. Flink eilen die vier Männer von dannen; jeder sucht sich ein geschütztes Plätzchen. Kaum ist die Deckung erreicht, da entzünden sich die vier Schüsse mit donnerähnlichem Getöse. Aufmerksam hat Vater Karste die Schüsse gezählt. Eingedenk der strengen Vorschrift verweilen sie noch wenige Minuten in der Deckung, dann nähern sie sich wieder der Arbeitsstelle. Von dichtem Pulverdampf umwogt liegen hoch übereinandergetürmt die losgesprengten Kalksteinblöcke. Unzufrieden schüttelt Vater Karste sein angegrautes Haupt. Ein scharrendes Geräusch läßt ihn herumfahren. Na — der hat ihm gerade noch gefehlt mit seinen neunmalklugen Reden. Ein wenig mißmutig schüttelt er die dargebotene Rechte des Dr. Friedrichs vom nahegelegenen Kaliwerk Wilhelmshall. Aufmerksam beobachten Andreas Karste und Dr. Friedrichs, wie Emil, Otto und Wilhelm dem aufgetürmten Gestein zu Leibe rücken. Vergeblich mühen sie sich ab, um einen schweren Brocken beiseite zu schieben. Rasch eilen beide hinzu. Mit vereinten Kräften schaffen sie es — der große Block kommt ins Trudeln und schlägt krachend auf. Plötzlich stutzt Dr. Friedrichs. Seinen aufmerksam beobachtenden Augen ist die kesselartige Vertiefung im Kalksteinfelsen nicht entgangen. Interessiert betrachtet er die gerundeten, fast kugeligen Steine in seinen Händen... Gespannt verfolgen Vater Karste und seine drei Mitarbeiter das merkwürdige Treiben des Dr. Friedrichs. Eine kurze Aussprache mit Andreas Karste — jede weitere Arbeit im Steinbruch wird eingestellt. Einige Tage vergehen. Unter sachkundiger Anleitung beginnen dann die Aufräumungs- und Freilegungsarbeiten. Dabei wird auch der zweite Kessel freigelegt. Auf Antrag der Kommission für Erhaltung der Naturdenkmäler wurden die Gletschertöpfe und ihre nächste Umgebung vom Kreise Oschersleben angekauft. Damit war die Gewähr gegeben, daß die Gletschertöpfe im Huy am Ort ihrer Entstehung erhalten blieben. — Gletschertöpfe dieser Art wurden in der Vergangenheit noch an anderen Stellen in Deutschland freigelegt, so im Schaumkalk des Alvenslebener Bruches bei Rüdersdorf und im Quarzitsandstein bei Gommern, doch fielen sie alle dem Steinbruchsbetriebe zum Opfer. Einer dieser Gletscherkessel wurde im Magdeburger Museum aufgestellt, aber er ist seinem Entstehungsort entrissen. Die Gletscherkessel (Gletschertöpfe) auf den Höhen des Huy sind daher zur Zeit noch die einzigen, die am Ort ihrer Entstehung verblieben sind, die uns auf dem Boden unseres Vaterlandes den Beweis für die Vergletscherung Norddeutschlands zur Divulialzeit liefern. Es ist daher dringend zu wünschen, daß sie auch in Zukunft als ein einzigartiges Naturdenkmal unserer Heimat geschützt und gepflegt werden. *) Zwischen Harz und Bruch, Heimatzeitschrift des Kreises Halberstadt, 3 (1958) Heft 10, 342-345 |