Die Sage von der Daneilshöhle (Gedicht von Karl Christian Wilhelm Kolbe, 1792)
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Die Daneilshöhle     

In der Mitte des Huys liegt ein gewaltiger Felsen,
Ganz mit Eichen umgeben und schwellendem Moose bewachsen.
Kühler wehen die Lüfte, wenn man dem Felsen sich nähert
Stärker schlägt das Herz und es wallt das Blut in den Adern
Immer heißer und bald durchläuft die Glieder ein Schauder.
Tief in den alten Felsen ist mit unsäglicher Mühe
Eine Höhle gehauen, die wirklich Staunen erreget.
Jetzt erblickt man darin noch die Spuren von Stallung für Rosse,
Krippen in Felsen gehauen, und Feuerherde der Küche,
Deren verbrannte Seiten von schwarzem Ruße bedeckt sind.
Jetzt noch sieht man hier Reihen von ausgehauenen Bänken,
Höhlen, den Schränken gleich, und gewölbte Fenster und Türen.
Hier, so meldet die Sage, lebt’ einst ein berüchtigter Räuber.
O, wer kennt nicht den Namen Daneil! so hieß der Verruchte.
Er, er brach in den Felsen mit eigenen Händen die Höhle,
Und erwählte sie sich zu seiner schrecklichen Wohnung.
Drinnen nährt’ er die Rosse, verwahrte die Geräte,
Barg sich hier selbst, und verschloss sich mit starken eisernen Türen.

Hundert Schritt’ von der Höhle ging vormals der Weg durch das Holz durch.
Dorthin führte der Räuber ein Eisen verborgen im Grase,
Und verband es mit einer Glock’ in der Höhle des Felsens,
Die denn plötzlich ertönte wenn man das Eisen berührte.
Kam nun ein Wandrer den Weg daher, und stieß mit den Füßen
An den Draht, so erscholl die Glocke. Dann stürzte der Räuber
Auf ihn los und durchstieß ihm die Brust mit dem schneidenden Schwerte;
Nahm ihm die Beute weg, und verscharrte den Toten im Holze.
Jetzt noch irren die Geister der armen ermordeten Männer
In dem Holze herum, und erscheinen als Feuergestalten,
Oder als weiße Bilder im dunklen Schatten der Nächte.
Lange trieb er dies Leben und häufte gewaltige Schätze;
Schweifte im Lande herum und verbrachte mit Fressen und Saufen
Seine Tage. Dann ritt er verkleidet durch Dörfer und Städte,
Raubte von neuem und kam mit Beute zurück nach der Höhle.
Lange war er das Schrecken der Gegend. Es scheute der Wandrer
Immer den Weg durch das Holz, er scheut ihn bei Nacht und bei Tage,
Denn, ihm sagte sein Geist: du musst dein Leben verlieren.

Aber, siehe, dereinst kam ein Mädchen vom Dorfe gegangen,
Schön und reizend, obgleich von niedern Eltern geboren.
Ruhig ging es durchs Holz und eilte zum Markt nach der Stadt hin.
Und es kam auf den Weg, der zur grausen Wohnung des Räubers
Führt, und ach! es betrat das im Grase verborgene Eisen.
Kaum geschehen, da tönte die Glock’ in der Höhle des Räubers,
Und Daneil sprang plötzlich hervor mit dem blinkenden Schwerte.
Jetzt durchbohr’ ich dich hier, so sprach er mit schrecklicher Stimme:
Wo du dein Geld nicht sogleich und deinen Reichtum herausgibst!
Aber das Mädchen, von Schrecken betäubt, sank plötzlich zur Erde,
Lag wie tot auf dem Boden, und ohne die kleinste Bewegung.
Lange beobachtete Daneil, den dieser Anblick doch rührte,
Ob er sie niederstieß’, und ob er sie mit sich zur Höhle
Nähm’ und so des gefangenen reizenden Mädchens noch schone.
Vieles bedacht’ er bei sich; doch siegte sein Herz nach der Wollust.
Und er nahm das Mädchen und trug es nun eilig zur Höhle.
Bald auch belebte das Feuer die Hingesunkene wieder.
Aber, als sie sich wieder besann, da rollten ihr heiße
Ströme von Tränen herab auf die glühenden Wangen, sie klagte
Laut ihr trauriges Schicksal und ihren begangenen Fehltritt.

Da erhub er die Stimm’ und begann im wütenden Tone:
Sklavin sollst du mir werden; das wisse, verwegenes Mädchen,
Wenn du noch länger so klagst. Durch mich behieltest du dein Leben.
Ich, ich konnt’ es dir nehmen, doch ward dir Gnade verliehen.
Drum ergib dich getrost und bleib in meiner Behausung.
Sieh! schon neigt sich der Tag, bald ist die Sonne verschwunden,
Und die kommende Nacht ruft uns zum ehlichen Bette.
Lass uns des sanften Schlafs und der süßen Liebe genießen!
So Daneil. Da sank das verzweifelte Mädchen zu Boden,
Rang die bebenden Händ’ und schlug sich den kochenden Busen.
Schändlichster unter den Menschen! so willst du mich Arme behandeln?
Ehe zerfleisch ich mich selbst und senke das Schwert in die Brust mir!
Sprach’s, und lief wie rasend umher. Da lachte der Räuber
Höhnisch. O eifre dich nicht zu Tode, du armes Geschöpfchen!
Lass dein Trotzen nur sein, du bist und bleibst mir in Händen.
Rede mir nichts mehr vor, sonst mach ich des Dinges ein Ende!
So Daneil. Und als nun die Nacht mit schwarzem Dunkel heraufkam,
Und die weite Gegend in kühle Schatten sich hüllte,
Da vollbracht’ er frohlockend die allerniedrigste Schandtat.
Doch, die gerechte Hand des Himmels, welche das Flehn der
Leidenden Unschuld höret, und willig jegliche Not hebt,
Wartete sein, und es kam der verdiente Lohn des Verruchten.

Einst verließ er die Wohnung am frühen dämmernden Morgen,
Und verwahrte sie nicht nach seiner alten Gewohnheit
Mit der eisernen Tür, die mit Schloss und Riegel versehn war.
Da, da führte die mächtige Hand des großen Vergelters
Aus der Höhle das Mädchen heraus. Nun begab es sich eilend
Hin zur Stadt und entdeckte die grause Tat des Verruchten,
Und verriet die List und die Höhle des schändlichen Räubers.
Und die Ersten der Stadt, mit starker Mannschaft begleitet,
Eilten heraus und versuchten die Wohnung Daneils zu eröffnen.
Aber jeglicher Angriff, und aller Männer Versuche
Waren vergebens. Er barg sich im innersten Winkel der Höhle,
Und verspottete sie, und lachte mit höhnischer Drohung;
Denn, er hatte sich bald, des begangenen Fehlers erinnert,
War zurückgekommen, und hatte sich eiligst verwahret.
Endlich fand sich ein Mittel nach vieler misslungener Arbeit.
Man verstopfte mit Ton und Rasen jegliche Öffnung
Die sich nur fand in dem Felsen. Dann trug man Bäume zusammen
Legte Feuer darunter und kochte siedendes Wasser
In gewaltigen Kesseln. Es schäumte die wallende Woge.
Darauf zerspaltete man die Felsendecke der Höhle,
Schrecklich brüllte Daneil, als ihn das Wasser erreichte.
Gnade! schrie er: doch war nun alles Bitten vergebens.
Weithin tönte die Stimme! So brüllt der reißende Tiger
Wenn ihm die Beut’ entging und der heiße Hunger ihn anfällt.
Und mit den schrecklichen Qualen beschloss der Verruchte sein Leben.
Jetzt noch irrt sein Geist umher, und erschreckt oft den Wandrer,
Der dem Felsen sich naht, und die alten Trümmer betrachtet!
Ewig verflucht ihn dann dieser, und schlägt ein Kreuz und entflieht!

Doch, ich höre nun auf die Geschichten der Vorzeit zu singen,
Und den Leser noch mehr durch mein langes Lied zu ermüden. –


Dieses Gedicht ist eine der frühesten literarischen Bearbeitungen der Sage vom Räuber Daneil. Der Text wurde vorsichtig an die aktuelle Rechtschreibung angepasst. Das Gedicht erschien im Band „Vermischte Gedichte“ von Karl Christian Wilhelm Kolbe, gedruckt bei Johann Christoph Dölle in Halberstadt im Jahre 1792.

Karl Christian Wilhelm Kolbe wurde 1770 in Halberstadt geboren. 1790 begann er ein Studium in Halle. Vier Jahre später war er Kandidat der Kameral- u. Bergwissenschaft, bekam einen Posten als Markscheider in Wettin/Saale und arbeitete anschließend als Obereinfahrer und Assessor des dortigen Königlich Preußischen Bergamtes. 1794/96 veröffentlicht er "Vermischte Abhandlungen, besonders bergmännischen und physikalischen Inhalts". In Halberstadt ist er Mitglied der literarischen Gesellschaft, neben den „Vermischten Gedichten“ veröffentlicht er 1802 ebenfalls in Halberstadt eine Sammlung Bergmannslieder „Neues Berg-Reien-Buch, Sammlung neuer bergmännischer Lieder lustigen und ernsthaften Inhalts“, die viele Nachauflagen erlebt. Karl Christian Wilhelm Kolbe war auch Mitglied des „Thüringisch-sächsischen Vereins für Erforschung des vaterländischen Alterthums und die Erhaltung seiner Denkmale“ und ist etwa um 1840 gestorben.



Der vorstehende Text erschien im Heft 57 der Heimatzeitschrift "Zwischen Harz und Bruch" (Dezember 2009 Download als PDF-Datei hier). Diese Zeitschrift finden Sie in Halberstadt in den Museen und Buchhandlungen.






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